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Über das Delegieren von Konflikten

Konfliktfrei ist eine Illusion. Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Interessen (lat. „conflictus“: zusammenprallen) ist die Geburtsstunde eines Konfliktes, wenn den Beteiligten wichtig ist, ihre Position durchzusetzen.

Interessant ist das Phänomen, Konflikte zu delegieren. Dieser Praxis bedienen sich die Politik gleichermaßen wie Hierarchen in einer Organisation oder Eltern. Erwähnt sei die Tradition von den USA und der Sowjetunion/dem heutigen Russland im mittleren Osten. Ob Afghanistan oder aktuell Syrien, elegant wird der kriegerisch geführte Machtkampf um den ersten Rang in der globalen Hierarchie an exterritoriale Schauplätze ausgelagert. Begründet wird dies durch plausibel klingenden Argumente mit populistischer Strahlkraft wie Schutz der Demokratie, Schutz von Minderheiten, Schutz der Menschenrechte, Schutz vor „dem Bösen“,

Doch jetzt ein repräsentatives Beispiel aus der Welt der Organisationen.

Bei einem Energieversorger wird die Position des Vertriebsvorstandes neu besetzt. Der scheidende Vorstand hatte zu seinen beiden Vorstandkollegen eine gute Arbeitsbeziehung. Bei der Frage, mit wem die vakante Position des Vertriebsvorstandes neu besetzt werden soll, sind sich die verbliebenen beiden Vorstände uneinig. Im Auswahlverfahren setzt sich der Wunschkandidat des Finanzvorstandes durch, die Beziehung zwischen dem Finanz- und dem Produktionsvorstand ist seitdem sehr getrübt. Wo früher rasch Entscheidungen im Sinne des Unternehmens gefunden werden konnten, wird jetzt kontroversiell und meist ohne Ergebnis diskutiert, Entscheidungen werden vertagt.

Hier beginnt die Dynamik, über die der Konflikt delegiert wird: Führungskräfte und MitarbeiterInnen leiden darunter, dass Entscheidungen nicht oder verspätet getroffen werden, denn das hat Folgen für das Gelingen der Zusammenarbeit auf den Ebenen des mittleren Managements und jener der MitarbeiterInnen.

Erlebt wird, dass – wo früher Kooperation stattgefunden hat, – vermehrt Abgrenzung und Rückzug auf formale Vorgaben erfolgt. Statt auf kurzem Wege wie bisher ein Problem mit dem Gegenüber in der anderen Abteilung zu klären, wird das Problem in den jeweiligen Hierarchie-Silos nach oben delegiert. Eine Flut an Emails ersetzt persönliche Gespräche. Im Vordergrund steht nicht mehr, ein Problem zu lösen oder einen Kunden zu servisieren, sondern sich abzusichern.

Verstärkt wird das Ausmaß der Störung durch den Aspekt der Loyalität: Denn Führungskräfte und MitarbeiterInnen entwickeln nicht Loyalität gegenüber dem Vorstand insgesamt, sondern gegenüber dessen einzelnen Mitgliedern. So ergibt sich mehr oder minder automatisch, auf wessen Seite jemand steht,

Spätestens jetzt ist die Delegation des auf Vorstandseben angesiedelten Konfliktes gelungen: Stellvertretend wird auf mehreren Ebenen der Organisation ein Konflikt inszeniert und ausgetragen, der seinen Ursprung in der obersten Etage hat. Die Beteiligten sind ungewollt zu Statisten geworden, die in eine Auseinandersetzung ziehen, welche keine der beiden Seiten gewinnen kann.

Im Vorstand kommt an, dass es auf den unteren Ebenen Konflikte in der Zusammenarbeit gibt, was sich unter anderem darin zeigt, dass Probleme bis in die Vorstandsetage kommuniziert werden, die bislang niemals dort angekommen sind. Scheinbar logische Maßnahme des Vorstandes ist – und da sind sich die Vorstände einig, – die verantwortlichen LeiterInnen mit der Konfliktklärung zu beauftragen und ergänzende Maßnahmen wie Teambildung, gemeinsame Outdoor-Aktivitäten zu veranlassen. Vielleicht werden sogar externe Berater hinzugezogen, die dann kläglich scheitern müssen, wenn sie die vorhandene Dynamik nicht durchschauen.

Möglicherweise eint das aufgetauchte Problem in der Zusammenarbeit der operativen Einheiten sogar zeitweilig scheinbar den Vorstand, wie der Feind von außen Solidarität nach innen erzeugt.

Spätestens dann, wenn Verbesserungen sichtbar werden, beginnt die Dynamik jedoch von neuem.

Welche Möglichkeiten haben die auf diese Weise instrumentalisierten Beteiligten? Die einzige Chance ist, zu erkennen, dass sie instrumentalisiert werden und sich in einem Schulterschluss weigern, stellvertretend einen Konflikt auszutragen, den sie nicht lösen können. Sie können einfordern, was sie von der Firmenleitung brauchen, um ihre Aufgaben zu erfüllen: Entscheidungen und klare Aufträge, die auf den Erfolg des Unternehmens ausgerichtet sind.

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