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Warum das Scheitern guter Vorsätze einen tieferen Sinn hat

Schon wenige Tage oder Wochen nach dem Jahreswechsel sind viele gute Vorsätze bereits ganz oder teilweise gescheitert.

Reaktionen wie Humor, Selbstvorwürfe, Selbstabwertung, Resignation oder der Vorsatz, im nächsten Jahr konsequenter zu sein, helfen vielen darüber einigermaßen hinweg. Eine andere Strategie ist jene von Erklärungen und Begründungen wie „carpe diem“ („Nutze den Tag“), „man lebt nur einmal“, „man soll sich auch einmal was gönnen“, „ich war machtlos – der Herr des Kühlschranks hat mich hypnotisiert“ oder „ich bin halt so“.

Als Erfolg werten wohl die wenigsten dieses Scheitern. Und doch ist es ein Erfolg – für die Versorgung eines anderen Bedürfnisses, dessen man sich nicht bewusst ist.

Das folgende Beispiel veranschaulicht diese Idee:

Vor etwa eineinhalb Jahren kam Chris L. (Name geändert)ins Coaching. Chris erlebte seit Jahren den typischen Jo-Jo-Effekt mit dem Ergebnis einer Gewichtszunahme statt einer Reduktion.

Der aktuell gescheiterte Versuch war Dinner Cancelling, also der Verzicht auf das Abendessen. Einige Tage gelang dies, dann ein oder zwei Tage nicht mehr, dann wieder einige Tage. Das wiederholte sich ein paar Mal, bis Chris aufgab.

Die Schlüsselfrage unserer Arbeit war: „Wofür ist das Brechen des gefassten Vorsatzes eine Kompetenz?“

Diese Formulierung basiert auf der Überzeugung, dass jede Entscheidung und jedes Verhalten eine Kompetenz in Bezug auf ein bestimmtes Ziel ist, auch wenn dieses Ziel nicht bewusst oder bekannt ist.

Rasch stellte sich heraus, dass Chris schon sehr früh gelernt hatte, sich anzupassen und die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf das zu richten, was andere erwarteten oder forderten.

Für diese Eigenschaft war Chris allseits als sehr umgänglich und besonders teamfähig beliebt und geschätzt. Diese Anerkennung war Chris auch sehr wichtig.

Was dadurch zu kurz gekommen war, war das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung. Dieses Bedürfnis zu versorgen, hätte bedeutet, anderen gegenüber auch einmal NEIN zu sagen, doch das hatte Chris nicht gelernt, entwickelt hatte Chris die Fähigkeit, den Wünschen anderer zu entsprechen.

An dieser Stelle hätte man meinen können, die Lösung läge darin, dass Chris lernt, NEIN zu sagen. Doch das wäre mit dem als sehr hoch eingeschätzten Risiko verbunden gewesen, weniger beliebt zu sein und weniger geschätzt zu werden.

Chris hatte einen inneren Konflikt, an dem drei unterschiedliche Bedürfnisse beteiligt waren:

  • Das Bedürfnis, auch weiterhin beliebt zu sein,
  • das Bedürfnis nach einer besseren Relation zwischen Körpergröße und Gewicht,
  • das Bedürfnis nach mehr Autonomie und Selbstbestimmung.

Die auf unbewusster Ebene gefundene intelligente Lösung war, Autonomie dadurch zu erleben, indem der eigene Vorsatz des Dinner Cancelling periodisch gebrochen wurde. Auf diese Weise wurde Chris allen drei Bedürfnissen gerecht, ohne dies zu erkennen.

Das war auch schon die Lösung für das Anliegen: Künftig bewusst nach einigen Tagen fasten mit höchstem Genuss und mit Stolz auf die Selbstbestimmtheit am Abend zu speisen, um anschließend wieder einige Abende auf das Essen zu verzichten. Gleichzeitig konnte Chris weiterhin sein den anderen vertrautes Verhalten in seinen beruflichen und privaten Beziehungen aufrecht erhalten.

Dieses Ergebnis hatte gravierende Auswirkungen:

  • Die vorangegangene Selbstabwertung wurde durch die Freude über die Fähigkeit zu mehr Selbstbestimmtheit ersetzt.
  • Das Selbstvertrauen hat soweit zugenommen, dass mittlerweile gelegentlich sogar ein NEIN gegenüber den Wünschen anderer möglich ist.
  • Das gelegentliche Abendessen stärkt die Bereitschaft zum Verzicht auf die Mahlzeit an den nächsten Tagen.
  • Chris geht jetzt um neun Kilogramm leichter durchs Leben.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

  1. Werden Entscheidungen und Vorsätze nicht oder nur teilweise umgesetzt, ist der Grund dafür sehr wahrscheinlich ein innerer Konflikt zwischen zwei oder mehreren Bedürfnissen, die im Widerspruch zueinander stehen.
  2. Das unbewusst vorhandene Bedürfnis ist mit der Zeit stärker und setzt sich durch.
  3. Die Lösung entsteht in einer „Sowohl-als-auch“ – Konzeption, sobald das unbewusst vorhandene Bedürfnis erkannt wurde.
  4. Ein unbewusst vorhandenes Bedürfnis wahrzunehmen gelingt leichter mit Unterstützung von außen (PartnerInnen, FreundInnen, Coaching), denn es ist schwer, für sich selbst neue Fragen zu formulieren.
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